Rohwassergewinnung aus Talsperren
Dort, wo die Niederschläge hoch sind und die Siedlungsdichte gering, begann man ab Ende des 19. Jahrhunderts die nötigen Wasserressourcen für industrielle Ballungsräume in Talsperren zu sammeln. In NRW sind z.B. das Bergische Land oder die Eifel dafür besonders geeignet.
Neben Rohwasserspeicherung für die industrielle Verwendung, den Hochwasserschutz sowie Wahrung einer Mindestwasserabgabe an die Bäche unterhalb der Talsperren hat die Trinkwassergewinnung eine besondere Bedeutung. So sind z.B. im Wupper-Einzugsgebiet über eine Millionen Haushalte direkt von der Trinkwasserbereitstellung durch Talsperren abhängig. Die Trinkwasserverordnung gibt vor, wie die Wasserqualität des Talsperrenwassers nach der Aufbereitung im Wasserwerk sein muss. Um die Aufbereitungskosten so gering wie möglich zu halten, sollte dem Wasserwerk möglichst ein in der Regel kaltes Rohwasser zugeführt werden, das arm an Nährstoffen sowie Mikroorganismen (Plankton, Algen) ist. So kann das Wasserwerk die Einhaltung der Trinkwasserverordnung am einfachsten sicherstellen.
Damit der Talsperrenbetreiber dies gewährleisten kann, versucht er den Wasserkörper so nährstoffarm und voluminös wie möglich zu halten. Wichtigstes Instrument hierfür ist die Wasserschutzgebietsverordnung, die sicherstellt, dass keine unerwünschten Fremdeinträge aus dem Einzugsgebiet in die Zuläufe der Talsperre gelangen, die die Qualität des Rohwassers negativ beeinflussen. (Auflagen zur Düngung, Gefahrenstofflagerung, Abwasserentsorgung).
„Die Anforderungen an die Qualität des Wassers in einer Trinkwassertalsperre ergeben sich aus der Forderung, dass dieses Wasser so beschaffen sein muss, dass es unter Einsatz normaler Aufbereitungsverfahren (Oxidation, Flockung, Filtration, Entsäuerung, Desinfektion) mit einem hohen Sicherheitsgrad jederzeit zu einem in jeder Beziehung einwandfreien Trinkwasser aufbereitet werden kann.“ (LAWA, „Limnologie und Bedeutung ausgewählter Talsperren in der Bundesrepublik Deutschland“, 1990)
Weiterhin ist der Talsperrenbetreiber dazu in der Lage, durch die technische Ausstattung der Talsperre ein den Anforderungen entsprechendes Rohwasser vorzuhalten. Dabei nutzt er bestimmte Entnahmetiefen um z.B. im Sommer ein kaltes, keimfreies Rohwasser aus einer tieferen Wasserschicht entnehmen zu können.
Im Sommer erwärmt sich infolge der hohen Lufttemperaturen die obere Wasserschicht. Unter der fast gleichmäßig warmen Oberschicht befindet sich eine Zone, in der die Temperatur mit zunehmender Tiefe sprunghaft abnimmt. Wegen dieser Eigenschaft wird diese Zone als „Sprungschicht“ bezeichnet. Darunter befindet sich der gleichmäßig kalte Tiefenwasserbereich. Das beschriebene Dreischichtgebilde ist relativ stabil, denn die unterschiedlichen Wassertemperaturen führen auch zu unterschiedlichen Dichten, dadurch wird ein Wasseraustausch von unten nach oben erschwert. Wenn im Herbst die Lufttemperatur sinkt, kühlt sich die warme Oberschicht langsam wieder ab. Jeder Herbststurm wird dann eine vollständige Durchmischung der Wassermassen von oben bis unten bewirken. Der jahreszeitliche Wechsel zwischen stabiler Schichtung und Durchmischung zeigt sich aber nicht nur in der Temperatur, sondern auch in der Wasserqualität.
Die größten Probleme bei der Aufbereitung von Talsperrenwasser werden durch Plankton und Algen sowie deren Stoffwechsel- bzw. Abbauprodukte verursacht. Da die obere Wasserschicht, die die größten Temperaturschwankungen aufweist, auch dem höchsten Lichteinfluss unterliegt, können sich hier Algen besonders gut entwickeln. Sie bilden durch Assimilation Kohlenhydrate. Sauerstoff wird dadurch frei. Sauerstoffliebende Algen dienen wiederum als Nahrungsgrundlage für andere Tiere z. B. tierisches Plankton. Besonders in nährstoffreichen Gewässern kommt es in der warmen Jahreszeit dann kurzfristig zu massenhaftem Auftreten von Algen. Das Wasserwerk kann darauf nur sehr begrenzt und keinesfalls besonders schnell reagieren. Dadurch kann es z. B. zu einer völlig unzureichenden Planktonelimienirung kommen.
Wenn im Wasserwerk Plankton oder Algentoxine nicht ordnungsgemäß durch Filter bzw. Desinfektionsanlagen aus dem Rohwasser herausgeholt werden können, kann es u. U. zu Verkeimungen und Wachstum von Mikroorganismen im Trinkwasser kommen. Die Folgen sind Geruchs- und Geschmacksbeeinträchtigungen sowie gesundheitliche Gefahren. Die Wahl der Entnahmetiefe ist wiederum dadurch begrenzt, dass sich bei Sauerstoffmangel im Tiefenwasser möglicherweise sedimentbedingte Stoffe freisetzen, die die Aufbereitungsanlagen des Wasserwerkes zusätzlich an ihre Grenzen kommen lassen. So kann z. B. geogen (Untergrundgestein) bedingtes Mangan die Filteranlagen eines Wasserwerks verstopfen, was zu höheren Spülvorgängen im Wasserwerk führen kann. Ideal für die Trinkwasserstalsperre ist daher ein nährstoffarmer und damit auch algen- bzw. organismenarmer See, der wesentlich durch die Bewirtschaftung der Einzugsgebiete der Zuläufe geprägt ist.
Die beschriebenen, häufig kurzfristig auftretenden Phänomene im Wasserkörper führen dazu, dass der Rohwasserkörper einer ständigen regelmäßigen Untersuchung im Hinblick auf die Wasserqualität unterliegt, um den Talsperrenbetreiber bzw. dem Wasserwerk signalisieren zu können, welche Wassertiefe in einem bestimmten Augenblick besonders gut geeignet ist.
Des Weiteren kann es auch sehr kurzfristig zu Einträgen aus dem Einzugsgebiet kommen. Die Böden in den Mittelgebirgsregionen sind neben ihrer Nährstoffarmut in der Regel als flachgründig anzusehen. Das bedeutet für die Wassergewinnung, dass das Regenwasser schnell einem Bachlauf zugeführt wird. Entweder läuft es zügig von der Fläche direkt in einen Bach oder trifft, wenn es versickern kann, relativ schnell auf eine wasserundurchlässige Deckschicht und gelangt innerhalb weniger Tage wieder an die Oberfläche und somit innerhalb von wenigen Stunden im Talsperrenkörper.
Daher ist ein besonders hohes Augenmerk darauf zu richten, was wann im Einzugsgebiet unternommen wird. Im Schadensfall kann dann schnell reagiert werden, indem man verhindert, dass kontaminiertes Wasser aus einem Zulauf weiterfließt und damit nicht die Gefahr besteht, die gesamte Talsperre aus dem Betrieb nehmen zu müssen.